Die Betrachtung von Gebäuden als dynamische Systeme, die sich über ihren gesamten Lebenszyklus verändern, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Diese ganzheitliche Perspektive ist unerlässlich, um nachhaltige, zukunftsfähige und an die Bedürfnisse der Nutzer angepasste Bauwerke zu schaffen.
Die Dimensionen des Lebenszyklus im Bauwesen
Der Lebenszyklus eines Gebäudes umfasst alle Phasen von der Planung und dem Bau über die Nutzung bis hin zum Rückbau und der Entsorgung. Dabei sind folgende Aspekte von zentraler Bedeutung:
Planungsphase:
- Ganzheitliche Betrachtung: Berücksichtigung aller relevanten Faktoren wie Standort, Nutzung, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Kosten.
- Vorausschauende Planung: Antizipation zukünftiger Entwicklungen und Anforderungen (z.B. Klimawandel, demografischer Wandel).
- Einbindung aller Beteiligten: Architekten, Ingenieure, Bauherren, Nutzer und weitere Stakeholder sollten frühzeitig in den Planungsprozess eingebunden werden.
Bauphase:
- Nachhaltige Materialien: Einsatz von umweltfreundlichen und recycelbaren Baustoffen.
- Energieeffizienz: Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs während der Bauphase und im späteren Betrieb.
- Qualitätsmanagement: Sicherstellung einer hohen Bauqualität durch entsprechende Qualitätskontrollen.
Nutzungsphase:
- Betriebskostenoptimierung: Minimierung der Betriebskosten durch effiziente Nutzung von Energie und Ressourcen.
- Flexibilität: Gestaltung des Gebäudes so, dass es an veränderte Nutzungsanforderungen angepasst werden kann.
- Instandhaltung: Regelmäßige Wartung und Instandsetzung, um die Lebensdauer des Gebäudes zu verlängern.
Rückbauphase:
- Recycling: Maximierung der Recyclingquote von Baumaterialien.
- Entsorgung: Umweltgerechte Entsorgung nicht recyclingfähiger Materialien.
Vorteile einer ganzheitlichen Betrachtung
- Nachhaltigkeit: Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks und Schonung von Ressourcen.
- Wirtschaftlichkeit: Langfristige Kosteneinsparungen durch geringere Betriebskosten und höhere Wertbeständigkeit.
- Qualität: Höhere Bauqualität und Nutzerzufriedenheit.
- Flexibilität: Anpassungsfähigkeit an zukünftige Anforderungen.
- Gesundheit: Schaffung gesunder und komfortabler Wohn- und Arbeitsumgebungen.
Herausforderungen und Lösungsansätze
- Komplexität: Die Berücksichtigung aller Aspekte des Lebenszyklus erfordert ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit.
- Unsicherheit: Zukünftige Entwicklungen sind schwer vorherzusagen.
- Kosten: Nachhaltiges Bauen kann höhere Anfangsinvestitionen erfordern.
Lösungsansätze:
- BIM (Building Information Modeling): Einsatz von digitalen Gebäudemodellen zur ganzheitlichen Planung und Steuerung von Bauprojekten.
- Lebenszyklusanalyse: Bewertung der Umweltauswirkungen eines Gebäudes über seinen gesamten Lebenszyklus.
- Zertifizierungssysteme: Nutzung von Nachhaltigkeitszertifikaten (z.B. DGNB, LEED) zur Bewertung von Gebäuden.
- Förderprogramme: Inanspruchnahme staatlicher Förderungen für energieeffiziente und nachhaltige Baumaßnahmen.
Fazit:
Die ganzheitliche Betrachtung des Lebenszyklus von Gebäuden ist ein Schlüssel zur Schaffung nachhaltiger und zukunftsfähiger Bauwerke. Durch eine vorausschauende Planung, den Einsatz nachhaltiger Materialien und Technologien sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Nutzer können wir Gebäude schaffen, die sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich sinnvoll sind.
Bis vor einigen Jahren lag der Fokus beim Bauen und Sanieren oft ausschließlich auf der Nutzungsphase der Gebäude, mit dem übergeordneten Ziel, die Energieeffizienz zu steigern und damit den Endenergieverbrauch zu reduzieren. Dies berücksichtigt jedoch nicht die eingesetzten Baustoffe.
Ein beträchtlicher Anteil der eingesetzten Energie und der daraus resultierenden Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden ist auf Herstellung, Transport, Einbau, Instandhaltung sowie Rückbau mit Entsorgung, Wiederverwendung oder Recycling von Baustoffen zurückzuführen.
Mit der steigenden Energieeffizienz von Gebäuden nimmt die Relevanz dieser grauen Emissionen der verbauten Konstruktionen stark zu und ist vor allem im Neubaubereich mittlerweile zu einem entscheidenden Hebel für den Klimaschutz geworden. Diese Entwicklung spiegelt sich noch nicht in der vorherrschenden Art und Weise der Bewertung von Gebäuden wider, welche den Primärenergiebedarf als zentralen Bewertungsindikator vorsieht. Das hat zur Folge, dass ein großes Potenzial zur Senkung von CO2-Emissionen unberücksichtigt bleibt. Die ganzheitliche Bilanzierung der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus bleibt damit vorerst freiwillig. Um eine entsprechende Entwicklung in diese Richtung voranzutreiben, ist es daher umso wichtiger, dass Planer und Berater im Gebäudebereich schon jetzt tätig werden und sich mit dem Bauen im Lebenszyklus sowie der ökobilanziellen Bewertung von Baustoffen und Gebäuden auseinandersetzen. Die Nachfrage nach ökologischen Baustoffen steigt, so dass dieser Trend eine entsprechende Anpassung der Regularien und Förderprogramme nach sich ziehen könnte.
Für Energieberaterinnen und Energieberater bietet es sich daher an, sich als Vorreiter in diesem wichtigen und interessanten Bereich der Baubranche zu etablieren und diesen Markt der Zukunft für sich zu erschließen.